Awareness-Konzept am Kongress der Asyl- und Migrationsbewegung

English version below / Version française ici

To be aware: sich bewusst sein, sich informieren, für bestimmte Problematiken sensibilisiert sein.

Linke Räume sind nicht automatisch diskriminierungsfreie Räume. Der Kongress der Asyl- und Migrationsbewegung 2025 soll ein Raum von Auseinandersetzungen sein, aber mit der notwendigen Rücksichtnahme auf unterschiedliche Bedürfnisse und Hintergründe. Deshalb fordern wir alle zu einem achtsamen und bewussten Umgang miteinander auf.

Awareness bedeutet für uns in erster Linie kollektive Verantwortungsübernahme. In der gemeinsamen Auseinandersetzung mit Machtverhältnissen und Diskriminierung können wir diesen entgegenwirken. Dazu gehört für uns das Bewusstmachen eigener Privilegien und bestehender Machtstrukturen, aber auch kollektives Handeln im Fall von Übergriffen aller Art. Awareness wird optimalerweise nicht an ein paar wenige Personen delegiert. Dieser Prozess geht uns alle an, denn wir alle bestimmen mit, wie das Klima in einem Raum ist – egal ob auf einem Podium, als Zuhörer*in, in der Pause oder abends an der Bar.

Dieses Verhalten hat keinen Platz bei uns und wird in keinem Fall toleriert:

Rassistische, sexistische, queerfeindliche, klassistische sowie ableistische Äusserungen und Handlungen; koloniale Ideologien jeglicher Art; Gewalt in jeglicher Form; Körperkontakt ohne Einvernehmen; ungefragtes Fotografieren anderer Personen, welches deren Privatsphäre und Sicherheit gefährden könnte.

Was macht das Awareness-Team und wo finde ich es?

Während den Veranstaltungen wird ein Awareness-Team präsent sein, welches du an den gelben «reclaim mobility freedom rights»-Aufklebern erkennst. Eine Awareness-Person wird jeweils beim Infotisch sein. Du findest Unterstützung, wenn du dich in einer Situation oder mit bestimmten Personen unwohl fühlst. Komm auf das Team zu, wenn du diskriminierendes Verhalten selbst erfährst, oder bei anderen beobachtest. Das Awareness-Team soll jedoch weder als Kontrollinstanz oder Sicherheitsdienst, noch als Expert*innenorgan verstanden werden.

Das Awareness-Team unterstützt dich gerne, wenn du Hilfe in schwierigen oder verletzenden Situationen brauchst. Ziel ist es, neben der Unterstützung der betroffenen Person, Übergriffe und Diskriminierungen zu erkennen, zu verhindern, kollektiv zu reagieren und gleichzeitig die Aufmerksamkeit aller zu stärken. Falls du das Bedürfnis hast, dich für einen Moment zurückzuziehen, sprich uns gerne an und nutze unseren Awareness-Raum. Dort versuchen wir individuell auf deine Bedürfnisse einzugehen – unabhängig davon, ob sie körperlicher oder psychischer Art sind. Du findest dort unter anderem Snacks und Getränke. Du hast die Möglichkeit für dich zu sein oder Unterstützung vom Awareness-Team zu erhalten.

Der Awareness-Raum befindet sich am Freitag in der «Kantine», Raum 066, im Parterre des Ostflügels des PROGRs, und am Samstag im Raum der Camerata Bern im 1.Stock des Westflügels.

Brauchst du Unterstützung oder genauere Informationen zum Gelände und zu den Räumen? Schreib uns eine E-Mail sekretariat@sosf.ch oder melde dich am Tag selber jederzeit am Infotisch.

Helft mit, unser Awareness-Konzept zu unterstützen und umzusetzen! Wir möchten Räume schaffen, in denen Kritik geäussert und angenommen werden kann. Uns ist bewusst, dass auch der Kongress der Asyl- und Migrationsbewegung 2025 in Machtverhältnisse eingebettet ist. Wir sind dankbar über Hinweise, Anregungen und solidarische Kritik. Haben wir etwas vergessen? Melde dich bei uns!

Passt aufeinander auf – nur gemeinsam schaffen wir solidarische Räume, die kritische Auseinandersetzungen erlauben!

Glossar

Wir setzen uns mit einer machtkritischen Sprache auseinander und sind uns bewusst, dass sich Sprache stets weiterentwickelt und verändert. Deshalb möchten wir hier festhalten, wie wir bestimmte zentrale Begriffe verstehen.

Ableismus ist die alltägliche und strukturelle Reduktion eines Menschen auf seine Behinderung. Damit einher geht eine Abwertung (wegen seiner Behinderung) oder aber eine Aufwertung (trotz seiner Behinderung).

BIPoC ist eine Abkürzung von und für Black, Indigenous and People of Color. Es ist eine Selbstbezeichnung von Menschen, die Rassismuserfahrungen machen. Nicht alle rassifizierten Personen können sich mit dem Begriff identifizieren.

cis / cisgeschlechtlich / cisgender (cis Frauen / cis Männer): cis (= lat. diesseits) bezeichnet Frauen bzw. Männer, bei denen das beider Geburt zugeschriebene Geschlecht mit dem gelebten Geschlecht übereinstimmt, werden als cis Frauen resp. cis Männer bezeichnet. Der Begriff cis Frau / cis Mann wird auch verwendet, um aufzuzeigen, dass es noch andere Kategorien jenseits von Frau / Mann gibt. Ausserdem wird so versucht zu verhindern, dass z.B. Frau als Norm und trans Frau als Abweichung gesehen wird.

FLINTA ist eine Abkürzung für Frauen, Lesben, Inter, Non-binary, Trans und Agender. Der Begriff bezeichnet Menschen, die keine cis Männer sind und somit stärker von patriarchalen Unterdrückungsmechanismen betroffen sind.

genderqueer / non-binär ist eine Selbstbezeichnung von Menschen, die bezüglich sozialer Geschlechtskategorien (Aussehen, Kleidung, Verhalten, etc.) oder ihrer Geschlechtsidentität nicht (ganz) in die zweigeschlechtliche Norm von Mann und Frau passen oder passen wollen.

Klassismus bezeichnet die Diskriminierung und strukturelle Benachteiligung aufgrund der gesellschaftlichen «Schicht» (Bildung, Besitz, gesellschaftliche Position der Herkunftsfamilie, etc.).

Mit kultureller Aneignung meinen wir die Aneignung und Instrumentalisierung von kulturellen, religiösen und politischen Symboliken/Praxen gekoppelt an ungleiche Machtverhältnisse. Dabei müssen globale Machtverhältnisse mitgedacht werden. Der politische Kontext und Implikationen vieler Symboliken/Praxen sind nicht immer bewusst oder erkennbar, weshalb wir um einen kritischen und bewussten Umgang damit bitten.

Privilegien zu haben bedeutet, mit gewissen Problemen und Diskriminierungen im Alltag nicht konfrontiert zu sein. Privilegien können sein: einen Schweizer Pass besitzen; als weiss gelten; cis sein; ohne Behinderung zu leben, etc.

Queerfeindlichkeit bezeichnet jegliche Diskriminierung gegen Personen, Handlungen oder Dinge, die in ihrem Ausdruck der sexuellen oder geschlechtlichen Identität von der Cis-Heteronormativität abweichen. Das Spektrum reicht von Vorurteilen, dem Absprechen von Identität und Sexualität, mangelnder medizinischer Versorgung und rechtlicher Benachteiligung bis hin zu tödlicher Gewalt und Suizid.

Rassismus ist ein gesellschaftliches Machtverhältnis, in dem Gruppen von Menschen aufgrund tatsächlicher oder vermeintlicher körperlicher, kultureller, religiöser oder sozialer Merkmale abgewertet, ausgeschlossen und benachteiligt werden. Rassismus äussert sich in vielen Formen – von subtilen Bemerkungen bis hin zu struktureller Gewalt – und kann verletzen, entmenschlichen und Menschen töten. Rassistische Diskriminierung kann unbewusst oder unbeabsichtigt erfolgen und dennoch in ihrer Wirkung ausgrenzend und verletzend sein. Rassismus beraubt Menschen ihrer Würde, ihrer Gleichheit und ihrer grundlegenden Rechte. Als strukturelles Phänomen ist Rassismus tief in gesellschaftlichen Normen, Diskursen, Gesetzen wie auch staatlichen Institutionen verankert und wird durch Sprache, Verhalten und Routinen immer wieder reproduziert und aufrechterhalten. Rassismus tritt in unterschiedlichen Formen auf, wie beispielsweise in anti-Schwarzem, anti-Asiatischem, anti-muslimischem, antijüdischem Rassismus (=Antisemitismus), Gadjé-Rassismus, Xenorassismus und weiteren. Diese Formen haben eigene Kontexte, Geschichten und Erfahrungen – und sie können sich auch überlappen. Wie Rassismus erlebt wird, hängt zudem mit weiteren Ungleichheitsverhältnissen wie Geschlecht, Sexualität, Klasse, Behinderung oder Aufenthaltsstatus zusammen.

Sexismus bezeichnet die Diskriminierung von Menschen aufgrund ihres (zugeschriebenen) Geschlechts, wie auch die Zuschreibung von Eigenschaften basierend auf binären Geschlechtervorstellungen. In einer männlich dominierten Gesellschaft äußert sich Sexismus besonders in der Abwertung, Benachteiligung und Gewalt gegenüber Frauen, Trans*, Inter* und nicht-binären Personen, sowie Weiblichkeit im Allgemeinen. (Cis-)Männlichkeit wird dabei als Norm verstanden, an der alles gemessen wird. Die Spirale patriarchaler Gewalt reicht von scheinbar harmlosen Pfiffen bis hin zu tödlichen Feminiziden. Sexismus steht mit anderen Diskriminierungsformen in Wechselwirkung.

transgender, transgeschlechtlich, trans (immer als Adjektiv verwenden, und nur benutzen, wenn auch cis Menschen als solche benannt werden): trans (= lat. jenseits, hindurch) sind Begriffe, die als Selbstbezeichnung von trans Personen dienen und auf verschiedene Weise die Vorstellung hinterfragen, dass es nur zwei Geschlechter gibt. Personen, bei denen das bei der Geburt zugeschriebene Geschlecht nicht mit dem gelebten Geschlecht übereinstimmt – dabei ist die Selbstdefinition der Personen das Zentrale, nicht eine Bewertung von aussen. Der Begriff transsexuell wird von den meisten trans Personen abgelehnt, da er historisch pathologisierend verwendet wurde (also die Menschen als «krank» bezeichnete). Andererseits ist er auch irreführend: trans sein hat eigentlich nichts mit Sexualität zu tun, sondern mit Geschlechtlichkeit bzw. Geschlecht.

Dieses Awareness-Konzept wurde vom enough.-Festival übernommen und leicht angepasst. Es entstand unter anderem auf der Grundlage des Awareness Konzept der in.vision, awarenetz.org, des Wörterbuches vom Verein Diversum, dem Glossar von Bla*sh, NOTORACISM, histnoire.ch, Missy Magazine, dem Kollektiv Jüdisch Antikolonial, dem Awarenessglossar von @wirmuesstenmalreden und der Jerusalemer Erklärung. Danke für eure Arbeit!

English version

To be aware: to be conscious, to inform oneself, to be sensitised to certain issues.

Left-wing spaces are not automatically discrimination-free spaces. The 2025 Asylum and Migration Movement Congress should be a space for debate, but with the necessary consideration for different needs and backgrounds. We therefore call on everyone to treat each other with care and awareness.

For us, awareness means first and foremost taking collective responsibility. By jointly addressing power relations and discrimination, we can counteract them. For us, this includes becoming aware of our own privileges and existing power structures, but also taking collective action in the event of assaults of any kind. Ideally, awareness should not be delegated to a few individuals. This process concerns us all, because we all help determine the atmosphere in a room – whether on a podium, as an audience member, during the break or at the bar in the evening.

This behaviour has no place with us and will not be tolerated under any circumstances:

Racist, sexist, queerphobic, classist and ableist statements and actions; colonial ideologies of any kind; violence in any form; physical contact without consent; unsolicited photography of other people that could jeopardise their privacy and safety.

What does the awareness team do and where can I find it?

An awareness team will be present during the events, which you can recognise by their yellow ‘reclaim mobility freedom rights’ badges. A member of the Awareness Team will be stationed at the information desk. You can find support if you feel uncomfortable in a situation or with certain people. Approach the team if you experience discriminatory behaviour yourself or observe it in others. However, the awareness team should not be seen as a supervisory authority, security service or expert body.

The Awareness Team is happy to support you if you need help in difficult or hurtful situations. In addition to supporting the person affected, the aim is to recognize and prevent assaults and discrimination, to respond collectively and, at the same time, to raise everyone’s awareness. If you feel the need to withdraw for a moment, please talk to us and use our awareness space. There, we will try to respond to your individual needs, whether they are physical or psychological. You will find snacks and drinks there, among other things. You have the option of being alone or receiving support from the awareness team.

On Friday, the awareness space will be located in the ‘Kantine’, Room 066, on the ground floor of the east wing of the PROGR, and on Saturday in the Camerata Bern room on the first floor of the west wing. The route to the Awareness Room is signposted and barrier-free.

Do you need assistance or more detailed information about the venue and the rooms? Send us an email at sekretariat@sosf.ch or visit the information desk at any time during the congress itself.

Help us to support and implement our awareness concept! We want to create spaces where criticism can be expressed and accepted. We are aware that the 2025 Congress of the Asylum and Migration Movement is also embedded in power relations. We are grateful for any comments, suggestions and constructive criticism. Have we forgotten anything? Get in touch with us!

Look out for each other – only together can we create spaces of solidarity that allow for critical debate!

Glossary

We are committed to using language that is critical of power structures and are aware that language is constantly evolving and changing. We would therefore like to set out here how we understand certain key terms.

Ableism is the everyday and structural reduction of a person to their disability. This is accompanied by a devaluation (because of their disability) or an overvaluation (despite their disability).

Anti-queer refers to any discrimination against people, actions or things that deviate from cis-heteronormativity in their expression of sexual or gender identity. The spectrum ranges from prejudice, denial of identity and sexuality, lack of medical care and legal discrimination to lethal violence and suicide.

BIPoC is an abbreviation of and for Black, Indigenous and People of Colour. It is a self-designation used by people who experience racism. Not all racialised people can identify with the term.

cis / cisgender (cis women / cis men): cis (= Latin for ‘this side’) refers to women or men whose gender assigned at birth corresponds to their lived gender; they are referred to as cis women or cis men. The term cis woman / cis man is also used to show that there are other categories beyond woman / man. It is also an attempt to prevent, for example, women from being seen as the norm and trans women as a deviation.

Classism refers to discrimination and structural disadvantage based on social ‘class’ (education, property, social position of the family of origin, etc.).

By cultural appropriation, we mean the appropriation and instrumentalisation of cultural, religious and political symbols/practices coupled with unequal power relations. Global power relations must also be taken into account. The political context and implications of many symbols/practices are not always conscious or recognizable, which is why we ask that they be treated critically and consciously.

FLINTA is an abbreviation for women, lesbians, inter, non-binary, trans and agender. The term refers to people who are not cis men and are therefore more affected by patriarchal mechanisms of oppression.

genderqueer / non-binary is a self-designation used by people who, in terms of social gender categories (appearance, clothing, behaviour, etc.) or their gender identity, do not (entirely) fit or want to fit into the binary gender norm of male and female.

Having privileges means not being confronted with certain problems and discrimination in everyday life. Privileges can include: having a Swiss passport; being considered white; being cis; living without a disability, etc.

Racism is a social power relationship in which groups of people are devalued, excluded and disadvantaged on the basis of actual or perceived physical, cultural, religious or social characteristics. Racism manifests itself in many forms – from subtle remarks to structural violence – and can hurt, dehumanise and kill people. Racist discrimination can be unconscious or unintentional, yet still have an exclusionary and hurtful effect. Racism robs people of their dignity, equality and fundamental rights. As a structural phenomenon, racism is deeply embedded in social norms, discourses, laws and state institutions, and is repeatedly reproduced and perpetuated through language, behaviour and routines. Racism takes many forms, such as anti-Black, anti-Asian, anti-Muslim, anti-Jewish racism (= antisemitism), Gadjé racism, xenoracism and others. These forms have their own contexts, histories and experiences – and they can also overlap. How racism is experienced is also linked to other inequalities such as gender, sexuality, class, disability or residence status.

Sexism refers to discrimination against people based on their (assigned) gender, as well as the attribution of characteristics based on binary gender concepts. In a male-dominated society, sexism manifests itself particularly in the devaluation, discrimination and violence against women, trans, inter and non-binary people, as well as femininity in general. (Cis) masculinity is understood as the norm against which everything is measured. The spiral of patriarchal violence ranges from seemingly harmless whistles to deadly feminicides. Sexism interacts with other forms of discrimination.

transgender, transsexual, trans (always use as an adjective, and only use when cis people are also referred to as such): trans (= Latin for beyond, through) are terms used by trans people to describe themselves and challenge the idea that there are only two genders in various ways. People whose gender assigned at birth does not correspond to their lived gender – the focus is on the person’s self-definition, not an external assessment. The term transsexual is rejected by most trans people because it has historically been used in a pathologising way (i.e. to describe people as ‘sick’). On the other hand, it is also misleading: being trans actually has nothing to do with sexuality, but with gender or sex.

This awareness concept was adopted from the enough. festival and slightly adapted. It was developed on the basis of the awareness concept of in.vision, awarenetz.org, the dictionary of the Diversum association, the glossary of Bla*sh, NOTORACISM, histnoire.ch, Missy Magazine, the Jewish Anti-Colonial Collective, the awareness glossary of @wirmuesstenmalreden and the Jerusalem Declaration, among others. Thank you for your work!